Dienstag, 20. Oktober 2009

Abschied im Herbst

Abschied im Herbst

Weißt du noch, wie`s war?
Kinderzeit - wunderbar:
Die Welt ist bunt und schön.
Bis du irgendwann begreifst,
Dass nicht jeder Abschied heißt,
Es gibt auch ein Wiederseh´n.
(Wolfsheim - Kein Zurück)

Der Wind blies Blätter durch die Straße, wirbelte sie zu rotbraunen Miniwindhosen. Ich stand am Fenster und blickte auf die herbstliche Allee herab. Ein einsamer Mann kämpfte sich durch den Sturm auf das Gebäude zu in dem ich mich befand. Mit der einen Hand hielt er seinen Hut auf seinem Kopf, mit der anderen Hand drückte er seinen grauen Mantel fest an den Leib. Er erreichte den Empfangsbereich und betrat das Gebäude. Mein Spiegelbild schwebte halb transparent im Fenster. Ein junger Mann Anfang 20, gestützt von zwei grauen Krücken, schaute mir mit leicht melancholischen Gesichtsausdruck entgegen. Eine Hand legte sich auf meine Schulter: "Der Kreis schließt sich. Die Natur stirbt, damit sie im Frühjahr wieder auferstehen kann. Ein ewiger Wechsel von Tod und Wiedergeburt." Ich drehte mich zu Janine. "So melancholisch heute?" Sie zuckte ihre abgemagerten Schultern, "Jeder hat so seine Phasen. Du schaust aber auch nicht wie die Freude in Person aus. Die Denkfalten stehen dir nicht. Bist noch viel zu jung für Falten auf der Stirn." Sie lächelte kurz. "Nun ja," erwiderte ich, "heute bin ich dran." "Sei doch froh," sagte sie, "dann bist du in spätestens vier Wochen deine Krücken los und hier wieder raus." Ich betrachtete Janine, ihren von der Chemotherapie abgemagerten Körper, dass inzwischen zu große Nachthemd, dass ihr damals noch passte, als wir uns vor einem Monat kennenlernenten, ihren kahlen Kopf unter dem sich immer mehr der Schädel mit seinen blauen Venen abzeichnete. Nur ihre Augen waren noch fast dieselben. Wie auf den Fotos, die ich von ihr kannte. Damals, als sie noch gesund war, als sie noch kein Schatten ihrer selbst war. Derselbe leichte Spott im Blick, derselbe Lebensmut nur die Kraft ließ nach und das trieb mir eigentlich die Sorgenfalten auf die Stirn, nicht die Operation heute Abend. "Erde an Josef!" Janine wedelte mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum. "Ah er reagiert ja doch noch und ich wollte gerade die Schwester rufen." "Sorry," erwiderte ich", "Ich war grad in Gedanken." "So langsam glaub ich den wahren Hintergrund für deinen Unfall zu kennen. Hast wohl aus Versehen mal Nachgedacht und dann sprang aus dem Nichts dieses Haus vor dein Auto." Janine lächelte spitzbübisch. Ich streckte ihr die Zunge raus."OK die Emotionen funktionieren auch wieder. Ich muss wirklich keinen Arzt rufen. Also, da du wieder in der gleichen Sphäre wie ich weilst, was hältst du von Frühstück?" fragte sie. "Ich viel, nur die Mediziner wenig. Die wollen mich heute Abend nüchtern." "Du wirst mich doch deswegen nicht versetzen, oder?", sie zog eine Schnute. "Nein, nein," ich lächelte, "ich werde dir halt nur halb verhungert beim Essen zuschauen." Sie betrachtete mich spöttisch. "Damit kann ich leben, also auf gehts, mein Magen knurrt schlimmer als eine Herde Braunbären." "Nach ihnen Mylady," ich deutete eine Verbeugung an und zeigte in Richtung Lift. Dieses mal kassierte ich die herausgestreckte Zunge, als sie an mir vorbeiging um den Lift zu rufen. Wir fuhren ins Erdgeschoss. Als ich ausstieg sah ich den Mann von vorhin auf eine der in der Eingangshalle herumstehenden Bänke sitzen. Er rauchte nervös eine Zigarette und schaute im Sekundentakt auf die große Uhr an der Wand. Eine Schwester kam und sprach ein paar Worte zu ihm. Sofort verschwand die Anspannung auf seinen Gesicht und sein Gesicht strahlte überglückliche Freude aus. Er drückte die Zigarette aus und konnte der Schwester gar nicht schnell genug hinterhereilen. "Da ist wohl jemand gerade Vater geworden," meinte Janine. "So schaut es aus," pflichtete ich ihr bei. Wir gingen, besser gesagt Janine ging und ich humpelte, durch die mit Marmorplatten ausgelegte Halle und folgten den anschließenden Gang zum Speisesaal. Im Gegensatz zu anderen Kliniken legte man hier Wert darauf, dass die Patienten unter Menschen kamen und so bekamen nur die bettlägrigen Patienten ihr Essen ans Bett gebracht. Der Rest musste im Speisesaal essen. Im Grunde eine wunderbare Idee. So lernte ich vor einem Monat Janine kennen.

Ich lag schon viel länger in der Klinik, als diesen Monat. Schwerer Unfall, künstliches Koma, mehrere Operationen und so weiter. Ich will das jetzt hier nicht weiter ausführen, ihr könnts euch ja vorstellen. An jenem Tag jedenfalls war ich soweit "gesund", dass ich wieder durchs Klinikgelände laufen durfte. Und wenig überraschend nutzte ich die Möglichkeit auch ausgiebig und so humpelte ich mit meinen Krücken praktisch jeden Quadratmeter des Geländes ab. Mein einziger Begleiter war ein Notfallpieper. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie gut das nach so einer langen Zeit tut. Irgendwann war es dann Abends und bei mir meldete sich der Hunger mit überzeugenden Argumenten zu Wort. So rappelte ich mich also von der Bank im Klinikgelände, auf der ich saß, auf und humpelte den geteerten Weg zurück zum Klinkgebäude und von dort dann schnurstracks in den etwa halbvollen Speisesaal. Die meisten Plätze boten auf den ersten Blick keine interessante Gesellschaft. Hauptsächlich Senioren. Ich hatte mich schon mit meinem Schicksal, dass ich nur mit Leuten, deren Enkel ich hätte sein können, essen konnte, abgefunden, als ich ein junges Mädchen einsam etwas abseits an einen Tisch sitzen sah. Sie war geschätzte 18 und stocherte gelangweilt in ihrem Essen herum. Spontan beschloss ich ihre Situation zu verbessern. Eigentlich war ich ja gar nicht der Typ für sowas, aber die viele Zeit zum Nachdenken hatte irgendwie mein verloren geglaubtes Selbstbewusstsein geweckt. Also humpelte ich zu dem Tisch, setzte mein freundlichstes Lächeln auf, nahm meinen Mut zusammen und sprach sie an. "Verzeihung. Hast du was dagegen, wenn ich mich zu dir an den Tisch setze?" Sie schaute auf und meinte mit ernsten Gesichtsausdruck: "Im besten Fall Messer und Gabel." Ich schaute mich um: "Nun schlimmer als die Alternativen hier dürfte das auch nicht sein." und setzte mich auf den Stuhl ihr gegenüber. Sie lächelte mich an. "Nun mal sehen, ob ich die beiden brauchen werde. Ich heiße Janine und wie ist euer Name mein übermütiger Freund?" "Josef," antwortete ich. Von da an verbrachten wir jede freie Minute miteinander. Nun ja fast jede. Nur die Tage nach der Chemotherapie nicht. Sie wollte nicht, dass ich sie so sehe und ich respektierte ihren Wunsch.

Wir erreichten also den Speisesaal und Janine nahm ein Tablett und stapelte ihr Frühstück darauf. Danach setzten wir uns an "unseren" Tisch. Irgendwie schien sich das bei den anderen Patienten herumgesprochen zu haben, dass dieser Platz "reserviert" sei oder wir hatten einfach nur Glück. Auf jeden Fall saß nie jemand an dem Tisch und so wurde dieser mit der Zeit unser Tisch. "Heute ist also dein letzter Termin?" "Zumindest behaupten das die Ärzte. Wenn heute alles gut geht, dann kann ich in spätestens vier Wochen wieder ohne die Dinger," ich schaute auf meine Krücken, "laufen." "Und freust du dich?" "Schon freie Hände sind eine wunderbare Sache." Sie lächelte. "Ich weiß," und sie biss zur Unterstreichung ihrer Aussage in ihr dick mit Nutella bestrichenes Brot. "Du liebst es mich zu Ärgern, oder?" "Hast du wirklich so lange gebraucht um das herauszufinden?" Ich lächelte sie nur schweigend an. "Anscheinend nicht," meinte sie, "Wie lange wirst du nicht unter uns weilen?" "Der Arzt meinte etwas von einer Woche, bis ich im Rollstuhl das Bett verlassen darf und wohl zwei Wochen bis ich wieder mit Krücken herumhumpeln darf. Besuchen kannst du mich wohl ab übermorgen." Du weißt, dass ich das nicht mag und ich hab diese Woche wieder eine Behandlung." "Dann sehen wir uns wohl frühestens nächste Woche wieder, wenn ich mit meinem Rollstuhl die Gänge unsicher mache." Sie nickte und für einen Moment sah ich tiefe Trauer in ihren Augen, als ob sie schon etwas gespürt hätte. Damals fiel es mir nicht so stark auf und kurz drauf hatte ich es auch schon wieder vergessen. "Damit du dann den nächsten Unfall mit deinem Rollstuhl baust, hm?" "Hey so schlecht fahr ich wirklich nicht Auto." "Sicher?" "Ja!" Wir schauten uns tief in die Augen und dann mussten wir beide Lachen. "Ich werde es dir schon noch beweisen." "Hey, ich nehm mir das nicht alles auf mich nur um mich dann am nächsten Baum wiederzufinden." "Aber du würdest es machen?" "Hab ich eine andere Wahl" Ich schmunzelte und sie zuckte lächelnd mit ihren Schultern. "Siehst du? Und wohin solls gehen?" "Was hältst du von ner Woche Rom und danach eine Woche Adria zum Baden." "Ziemlich viel. Du weißt dass ich die Stadt liebe." "Deswegen schlag ichs auch vor." Sie gab mir einen Kuss, den ich erwiderte. Das tat sie selten. Als ob sie Angst hätte, dass sie mich anstecken könnte. Wir verbrachten noch den ganzen Tag miteinander, bis es für mich Zeit wurde. "Nun ich muss dann, mein Schicksal erwartet mich," meinte ich traurig. "Dann laß es dich nicht finden, sondern stelle dich ihn entgegen," meinte Janine. "Eigentlich sollte ich mich daran inzwischen gewöhnt haben, aber ich hab immer noch Angst." "Wem sagst du das? Wem sagst du das?" fragte Janine. Dieses Mal gab ich ihr einen Kuss. "Ich werd an dich denken," sagte ich. "Ich auch, aber jetzt geh, du weißt wie sauer die Ärzte werden, wenn sie warten müssen." Wir umarmten uns und ich sah sie mir noch einmal an, dann humpelte ich zu meinem Zimmer in dem eine Schwester auf mich wartete.

"Ah da sind sie ja, Herr Schneider." "Hey im Gegensatz zum letzten Mal bin ich wirklich nicht zu spät." Die Schwester schaute mich skeptisch an. "Sie kennen ja die Prozedur." Ich nickte und zog mich soweit ich musste aus, legte mich in mein Bett und dann bekam ich einen Beruhigungsmittelcocktail zu trinken, der kurze Zeit später auch zu wirken begann. Die Schwester schob mich in den Op-Bereich, doch das war mir Dank dem Mittel schon vollkommen egal. Dort wurde ich fertig gemacht. Die Ärzte stellten sich kurz vor, sprachen ein paar Sätze und dann setzen sie mich auch schon unter Narkose. Das Letzte was ich vor der Schwärze sah, war Janines Gesicht.

Später, viel später erwachte ich. Wobei das Übertrieben war. Mein Bewusstsein tauchte für einen Moment aus dem Schlaf auf. Ich konnte mich nicht bewegen, nicht die Augen öffnen, aber ich hörte das beruhigende regelmäßige Piepsen meines Pulses. Dann war ich wieder weg. Später, mir kam es vor, als ob Tage vergangen waren, die nächste Wachphase. Ich hörte wieder das Piepsen des Pulsmessgerätes und fühlte die Luft, die mir die Beatmungsmaschine in die Lunge pustete. Mir gelang es ein Auge zu öffnen. Draußen war es hell und die Uhr, die ich verschwommen über meinen Bett wahrnahm, zeigte 5 Uhr. Dann war ich wieder weg. Beim nächsten Mal, die Uhr zeigte inzwischen 7 Uhr, gelang es mir endlich wach zu bleiben. Als ich mich Bewegen wollte, piepste das Gerät neben mir aufgeregt und eine Schwester kam an mein Bett. "Bleiben sie noch ein wenig ruhig liegen. Sie brauchen noch mehr Zeit." Ich versucht zu nicken und schlief weiter. Als es dann 9 Uhr war, hatte ich wieder soweit Kontrolle, dass ich kleinere Bewegungen machen konnte und eine halbe Stunde später brauchte ich auch den Sauerstoff nicht mehr, da meine Lungen wieder von alleine kräftig genug atmeten. Es dauerte noch eine gute Stunde, bis die Schwestern und der Arzt der Meinung waren, dass ich wieder auf die Station konnte und so wurde ich zurück in mein Zimmer gebracht wo ich die nächsten beiden Tage am Tropf hängend die meiste Zeit schlafend verbrachte. Das lag wohl auch an den Mitteln, den sie dem Tropf hinzufügten. Die Ärzte behielten recht. Es dauerte wirklich mindestens eine Woche bis ich überhaupt wieder aus dem Bett wollte und selbst dann hatte ich wenig Lust mit dem Rollstuhl durch die Station zu Fahren. Die kam erst gegen Ende der zweiten Woche und da ging es dann auch schon mit dem Lauftraining wieder los. Auch wenn es sich im Moment nicht so anhört, aber ich dachte viel an Janine. Die Ärzte wichen meinen Fragen nach ihr etwas aus. Sie meinten, dass sie in Behandlung sei. Das Ganze machte es für mich nicht einfacher. Als ich dann wieder humpeln konnte, erzählten sie mir die Wahrheit. Sie hätten sie mir zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr länger verheimlichen können. Janine lag seit einer Woche im Koma. Ihr Körper hatte vor der Doppelbelastung durch Chemo und Krankheit kapituliert. Zwei Tage später folgte auch der Geist ihren Körper und sie starb.

Meinen Schrei musste wohl das ganzen Krankenhaus gehört haben. An die darauffolgende Zeit hatte ich nur noch lückenhafte Erinnerungen. Man band mich an mein Bett fest, damit ich ihr nicht folgte und man gab mir Beruhigungsmittel. Die Tage vergingen. Doch das war mir egal. Hell folgte Dunkel, Dunkel folgte Hell. Mal durchschlief ich den Tag, mal durchwachte ich die Nacht. Mir war alles egal. Ich lag nur da. Ich aß nicht, icht trank nichts. Man ernährte mich sogar intravenös. Später erzählten mir meine Eltern, dass ich wie im Wachkoma dalag und auf nichts reagierte. Ich wusste nicht einmal, dass mich meine Eltern besuchten, bis zu jenem Tag an dem sich mein Leben ein zweites mal änderte. Es war gut zwei Monate nach ihren Tod als ich eine Stimme in meiner selbstgewählten Isolation hörte. Der erste Ton der in mein Bewusstsein drang. Sie klang so bekannt, doch sie war weit entfernt. Ich wollte zu ihr. Versuchte mich zu bewegen, doch meine geschwächten Muskeln gehorchten nicht sofort. Unendlich langsam richtete ich mich auf. Die Welt dreht sich um mich und ich lag wieder in meinen Kissen. Der nächste Versuch erfolgte noch vorsichtiger und dieses mal blieb ich sitzen. Es war Nacht und der Vollmond schien durch das Fenster und tauchte mein Zimmer in magisches Licht. Die Stimme rief wieder, verführerisch, süß von jenseits der Zimmertür. Mein Rollstuhl stand neben den Bett und ich wollte mich gerade hineingleiten lassen, als ein schmerzhaftes Stechen in meinem Arm mich an den Tropf an dem ich hang erinnert. Ich fand ein Taschentuch in meinem Schrank und zog die Nadel und drückte danach das Taschentuch auf die Wunde. Es färbte sich rot, doch kurz Zeit später begann das Blut zu gerinnen und die Wunde zu schließen. Die Welt begann sich wieder leicht zu drehen und schwarz zu werden, doch dieses mal reichte der Kreislauf aus und ich blieb sitzen. Ich glitt in den Rollenstuhl und fiel fast wieder raus. Mit aller Kraft setzte ich ihn in Bewegung und nach fast übermenschlicher Anstrengung erreicht ich die Zimmertür an der gegenüberliegenden Zimmerwand. Ich öffnete sie. Dahinter war ein langer von Mondlicht erhellter Gang. "So einen gab es doch im Krankenhaus nicht," dachte ich. Ich rollte den Gang entlang und am Ende auf einer Wendeltreppe nach oben saß eine weibliche Gestalt. Es war Janine. Sie stand auf und ging mir entgegen. Sie war nicht mehr das zerbrechliche Wesen, dass ich kannte, sondern es war die Janine von den Bilder "Was soll der Schwachsinn!?" sagte sie. Tränen liefen mein Gesicht herunter. "Was soll der Schwachsinn," wiederholte sie, "du hast definitiv Wichtigeres zu tun, als hier wegen mir dahinzuvegitieren. Nur weil mein Weg zu Ende war, ist es deiner noch lange nicht. Also reiß dich gefälligst zusammen und stell dich nicht so an." Sie zog mich aus den Rollstuhl auf die Beine. Wie kräftig sie jetzt war "Wir werden uns wiedersehen. Dass verspreche ich dir, aber bis dahin wird es noch ein paar deiner irdischen Jahre dauern und dann werde ich meine Reise nach Italien einfordern." Sie lächelte mit ihren verschmitzten Lächeln an. "So und jetzt kümmere dich um deine Familie und deine restlichen Freunde. Ich kann hier auf dich warten. Die anderen nicht." Sie gab mir einen Kuss und verschwand dann vor meinen Augen. Die Welt begann sich zu drehen und ich stürzte. Also ich wieder aufwachte lag ich in meinen Bett. Es war Tag und meine Eltern waren im Zimmer. Sie sprachen mit mir. Erst konnte ich sie nicht verstehen, doch dann begannen die Worte auf einmal wieder Sinn zu machen. "Nicht so schnell," stammelte ich. Und meine Eltern hielten inne. "Du verstehst uns?" fragte meine Mutter. "Ja,"antwortete ich. Ein weiterer Schrei erklang im Krankenhaus. Dieses mal der Freudenschrei meiner Eltern. Man behielt mich noch einige Wochen im Krankenhaus. Reha, psychologische Betreuung und so weiter. Ich erzählte niemand, dass mir Janine begegnet ist und so wurde ich irgendwann entlassen. Man verschrieb mir noch eine ambulante psychologische Therapie, die ich auch noch hinter mich brachte. So verging der Herbst.

Inzwischen war es Winter. Die Zeit des Todes. Gefolgt von der Zeit der Wiedergeburt. Ich ging den Kiesweg entlang. Alleine. Ich zerstörte mit meinen knirschenden Schritten die weiße Schneedecke, die wie ein gigantisches seidenes Leichentuch über den Friedhof lag. In meiner Hand ein Strauß weißer Lilien. Ich zählte meine Schritte "Zweihundertfünzig, Zweihundereinundfünzig," Dann war ich an meinen Ziel. Eine schlichte Steinplatte in der ihr Name und ihre Lebensdaten eingraviert waren. Daneben ein Bild von ihr. Aus der Zeit, als sie noch gesund war. Ein Stirnreif hinderte ihr braunes schulterlanges Haar daran ins Gesicht zu fallen. Sie blickte mich mit den gleichen spöttischen Blick, wie bei unserer letzten Begegnung damals im Herbst an. Ich sank in die Knie, legte die Lilien sorgfältig auf den blanken Stein und striff mit den Handschuh von meiner rechten Hand. Vorsichtig, fast zärtlich strich ich mit meinen Fingern über ihr kaltes Antlitz im Stein. Tränen sammelten sich in meinen Augen, liefen über meine Wangen und tropften auf ihr steinernes Bett. So verharrte ich, ob Minuten, Stunden, Tage oder Jahre konnte ich nicht sagen. Irgendwann stand ich auf, die Lilien waren inzwischen vollkommen vom Schnee bedeckt. Dann ging ich. "Wir werden uns Wiedersehen. An einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit, in einem anderen Leben." Meine Spuren verschwanden im Schnee. Bald ist Frühling. Wiedergeburt.

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