Dienstag, 20. Oktober 2009

Der erste Kontakt

Sechs Männer ritten angespannt durch den Dschungel. Fünf waren schwer bewaffnet, dem sechsten hatte man eine schwarze Haube über den Kopf gezogen und seine gefesselten Hände am Sattelknauf angebunden. Sie hatten noch etwa drei Stunden vor sich, bis sie am Ort des Geiselaustausches ankommen würden. Der gefesselte Mann, Erich Haubentaucher, war ein baronieweit gefürchteter Räuberhauptmann und hätte der Teufel nicht persönlich die Finger im Spiel gehabt, dann würde er ihn schon längst in der Hölle Gesellschaft leisten. Es kam jedoch anders. Die Reste seiner Bande entführten die Tochter des Barons als diese sich auf einer ihrer Reisen durch die Baronie befand und nun hieß es ihr Leben gegen das Seine. Die Reise zum Ort des Geiselaustauschs war alles andere als ungefährlich, jederzeit konnte die grüne Hölle links und rechts des schmalen Pfades aufbrechen und Raubtiere, Räuber oder noch Schlimmeres ausspeien. Nervös hielten deshalb die Männer den Wegrand im Blick, zuckten bei fast jeden Knacken zusammen und richteten Köpfe und Bögen auf die Quelle des Geräusches. War da nicht ein menschlicher Schatten im Unterholz? Henning blinzelte doch er sah an der Stelle, an der er zuvor den Schatten vermutete, nur grüne Blätter."Meine Nerven beginnen mir Streiche zu spielen," dachte Henning, "Zu viel Anspannung ist ungesund." Um sich etwas zu entspannen unterhielt er sich leise mit dem benachbarten Reiter, Rolf. Rolf war ein stämmiger zwei Meter Riese von einem Mann. Zwar nicht unbedingt das hellste Geschöpf auf Gottes Erden, aber was ihm an Intellekt fehlte, dass machte er durch seinen Schwertarm mehr als wett. So unterhielten sie sich über Waffen, was wohl das einzige Thema war, dass Rolf zu interessieren schien. Zwei Stunden über Schwertkunde, Herstellung, Pflege und Gebrauch des Schwertes sowie Kampftaktik. Trotzdem, dass war immer noch viel besser als die Anspannung und das gegenseitige Anschweigen. Es vertreibt wenigstens die Angst, da man schließlich beschäftigt war und man somit auch keine Zeit hatte darüber nachzudenken, welche Gefahren jenseits des Weges lauerten. "Also du musst beim Polieren der Waffe aufpassen in welche Richtung du polierst. Du musst das so machen. " Rolf vollführte mit seinen Händen eine Geste als wollte er ein imaginäres Schwert polieren. "Alles andere macht über kurz oder lang die Waffe kaputt und das willst du." Er brach mitten im Satz ab. Rolfs Augen blickten Henning verwundert an, während sein Körper erschlaffte und er langsam vom Pferd kippe. Ein kleiner Holzpfeil steckte etwa einen Zentimeter in seinem Hals und ein kleiner Blutrinnsal lief seinen Hals herab. Den laut scheppernden Aufprall bekam Rolf schon nicht mehr mit. Das Gift des Pfeils wirkte schneller. Wieder ein Scheppern. Dieses Mal erklang es hinter ihn. Die toten Augen des gerade vom Pferd gefallenen Soldaten blickten ausdruckslos in den Himmel. Auch er hatte einen kleinen Pfeil im Hals stecken. "Hinterhalt," brüllte Henning und ließ sich im selben Augenblick von seinen Pferd fallen. Aus der Schussbahn des unbekannten Schützen heraus. Der Aufprall trieb ihn die Luft aus den Lungen, aber er schien unverletzt und er lebte. Noch. Sie beiden übrig gebliebenen Soldaten schlugen Sekundenbruchteile später auf den Waldboden auf. "Hoffentlich lebten sie noch," dachte Henning. In dem Moment aber sah er im Augenwinkel, als er sich selbst in den Wald in Deckung rollte, wie sie sich die beiden anderen Soldaten ebenfalls in Deckung rollten. Seine Furcht war also unbegründet.

Haubtentaucher saß weiterhin auf seinem Pferd, dass wie die anderen, reiterlosen, Pferde stehen blieb und seine Ohren anlegte und nervös leicht auf der Stelle tänzelte. Hätte Henning mehr Zeit gehabt und würde sich nicht irgendwo im Wald ein Assassine verbergen, der zwei seiner Kameraden auf den Gewissen hat, dann würde er jetzt die perfekte Ausbildung der Pferde bewundern. "Hey ihr verfickten Hurensöhne, was ist los!", brüllte Haubentaucher. "Wenn du nicht gleich dein stinkendes Maul hältst, dann für dich nicht mehr viel," zischelte Wulf von schräg gegenüber. Einer der anderen beiden überlebenden Soldaten. Im Geäst über ihn selbst knackte es leise und als er hoch blickte sah er einen schwarzen grazilen Schatten, zwischen den Ästen kurz auftauchen und ebenso schnell wieder verschwinden. "Wer oder was zum Teufel ist das," fragte Henning sich. Er und seine Kollegen zogen leise ihre Schwerter aus den Scheiden und machten sich angriffsbereit. Sollte es wieder auftauchen, dann werden sie vorbereitet sein und ihre toten Kameraden rächen. Wieder ein Knacken diesmal auf der anderen Seite der Straße. "Wie in drei Teufels Namen," Henning kam nicht mehr dazu den Gedanken fertigzudenken. Es landete mit einem grazilen Salto mitten auf der Straße, sank um die Wucht des Aufpralls abzufangen in die Knie, berührte kurz mit einer Hand den Boden und richtete sich sofort wieder kerzengerade auf. "Es," er musste sich in Gedanken korrigieren, "Sie", da der vollkommen in schwarzen hautengen Stoff gehüllte Körper eindeutig weiblich war, ließ ihren Blick über die Waldränder schweifen. Die Pferde wichen langsam zurück, als hätten sie instinktiv große Angst vor der Frau und als sie ihm direkt in die Augen blickte, wusste er wieso. Diese Augen waren nicht menschlich. Violette, eiskalte Pupillen blickten ihn direkt in die Seele und er fühlte wie sein Herz gefror. Fredrickson, der andere der anderen beiden überlebenden Soldaten, schien dies jedoch nicht bemerkt zu haben. Er stürzte sich im selben Moment mit einen barbarischen Schrei von der Seite auf das Wesen. Lächelte sie unter dem stoffbedeckten Gesicht? Sie wich Frederickson mit einer Leichtigkeit und einer Geschwindigkeit aus, dass ihre Bewegungen zu verschwimmen schienen. Frederickson taumelte von seinem Schwung getrieben an ihr vorbei als er plötzlich in der Bewegung verharrte, nachdem sie ihn nur kurz berührte. Frederickson schien wie gelähmt, nur seinen Kopf konnte er noch bewegen. Langsam zog sie sich ihre schwarzen Lederhandschuhe aus. Pergamentweise sorgsam gepflegte Hände kamen zum Vorschein mit denen sie ihm sanft über die Wange strich und die Lederbänder seines Helms löste. Nackte Panik stand in Fredericksons Augen geschrieben. Frederickson wollte schreien, doch bevor auch nur ein Geräusch seine Lippen verließ legte sie ihren Zeigefinger sanft auf seine Lippen und er verstummte. Zeitgleich befreite sie mit der anderen Hand seinen Kopf vom Helm und war diesen anschließend achtlos in den Dschungel. Das Geräusch, als der Helm gegen einen Baumstamm schlug, klang unnatürlich laut an seinen Ohren und diesen Moment fiel ihm es erst auf. Es war totenstill. Der Dschungel, normalerweise Quelle unzähliger Geräusche war komplette verstummt. Sie entfernte das Band, dass ihren Mund verdeckte. Und was immer Henning in dem Moment erwartet hatte. Seine Erwartungen wurden enttäuscht. Keine dämonische Fratze kam zum Vorschein, kein monströs veränderter Unterkiefer. Nichts unheimliches. Er sah ein schmal geschnittenes Kinn, die Haut ebenfalls pergamentweis, der Mund von zartrosane dünne Lippen eingerahmt. Sie blickte zu ihm und lächelte. Kalte Schauer liefen ihm den Rücken hinab. Dann öffnete sie ihren Mund und sein Blut gefror. Das Gebiss, dass sie entblößte hatte nichts menschliches. Er blickte auf rasiermesserscharfte, dolchartige Zähne. Und dieser Mund näherte sich Fredericksons Gesicht. Sanft küsste sie Fredericksons Kinn, wanderte küssend über seine Wange bis zu seinem Hals. Sie liebkoste mit ihren Lippen seinen Nacken als sich Fredericksons Körper plötzlich aufbäumbte, wie als ob Höllenquallen jeden seiner Nerven unter Feuer setzen würden. Es verging fast eine Minute bis sich der Körper wieder entspannte. Fredericksons Blick war seltsam leer und da begriff er, dass Frederickson nicht mehr lebte. Langsam legt sie ihn, wie eine zerbrechliche Puppe, auf die Straße ab. Eine mundgroße Wunde klaffte an Fredericksons Hals, dort wo die Halsschlagader war und rotes dunkles Blut floss auf den Waldpfad. Da drehte sie sich wieder zu ihn in seinen Versteck um. Ihr Mund war blutverschmiert. Sorgfältig leckte sie sich mit ihrer spitzen hellrosanen Zunge über ihre Lippen, als wollte sie keinen Tropfen verschwenden.

Sie verdrehte für einen Moment die Augen gegen Himmel und eine fremde Macht zwang ihn und Wulf gegen ihre Willen aufzustehen und taumelnd auf sie zuzugehen bis sie beide vor ihr standen. Sie musterte beide lange mit ihren violetten Augen, dann schlug sie mit ihrer Faust blitzschnell auf Wulfs Brustpanzer. Metall splitterte, Fleisch wurde durchtrennt, Knochen brachen und als ihre blutverschmierte Hand auf der anderen Seite von Wulfs Körper wieder zum Vorschein kam, hatte sie ein Stück seines Rückgrats in ihrer Hand. Sie zog die Hand langsam zurück, also wollte sie Wulfs Tod so schmerzhaft wie möglich machen und als ihre Hand seinen Körper endgültig verlassen hatte, brach er endlich tot zusammen. Nun schaute sie Henning lange in seine Augen, dabei strich ihn mit der blutverschmierten Hand sanft über das Gesicht. Der metallene Blutgeruch stieg ihn in die Nase und Übelkeit machte sich in seinen Gedärmen breit. "Dies ist nicht euer Wald und nicht eure Welt," sagte sie mit einer wohlklingenden melodischen Stimme, die in seinen Ohren kälter als jedes Eis war. "Versteht es als letzte Warnung. Jeder, der wie ihr einen Schritt in diese Wälder setzt, den wird es so ergehen wie euren Kameraden." Sie wartete ein paar Momente um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen, dann fuhr sie fort. "Du hast Glück junger Soldat, du hast dich als würdig erwiesen deinem Herrscher diese Botschaft und ein kleines Geschenk zu überbringen." Sie berührte sanft seine Stirn und eine wohltuende Ohnmacht schaltete seinen Geist aus.

Henning erwachte bäuchlings auf dem Rücken eines Pferdes liegend. Ob Stunden oder Tage seit der Begegnung mit dem Wesen vergangen sind, konnte er nicht sagen. Übelkeit stieg seinem Magen empor und er übergab sich heftig auf die Wiese unter sich. Er wollte sich aufrichten, doch war zu schwach sich zu bewegen. Sein Kopf dröhnte als hätte man ihn mit einen Vorschlaghammer bearbeitet und er drohte wieder in die Abgründe einer Ohnmacht zu fallen. So vergingen Minuten, die er zwischen Bewusstsein und Ohnmacht verbrachte. Er erreichte endgültig das Diesseits, als neben ihn ein heftiger weiblicher Schrei erklang, der ihn schlagartig wach machte. Er versuchte abermals sich zu bewegen und jetzt gehorchten ihn seine Muskeln. Er lies sich vorsichtig vom Pferd gleiten und landete, da seine Knie nachgaben, unsanft auf dem Boden. Langsam rappelte er sich auf, während sich die Welt in immer schnelleren Kreisen um ihn drehte. Er schloss die Augen, atmete tief durch und langsam beruhigte sich die Welt wieder. Er richtete sich weiter auf und sah vor sich zwei weitere Pferde auf der Wiesen stehen. Auf einem lag eine ohnmächtige Frau, ihre Haare klebten an ihrer Stirn und in ihre einst prächtigen Kleider hingen in Fetzen an ihr herab. Trotzdem erkannter Henning sofort die Tochter des Barons. Auf dem anderen Pferd war die blutverschmierte Leiche Haubentauchers festgebunden, mehrere Pfeile steckten in seiner Brust. Da fiel ihn plötzlich das laute Surren von Fliegen hinter sich auf. Er dreht sich um und ein Wagen von ihm unbekannter Bauart stand einige Meter vor ihn auf der Wiese. Der Inhalt der Ladefläche war von einer aus Pflanzen gewobenen Plane verdeckt. Als er sich ihm näherte wehte süßlicher Gestank von dort herüber und Unmengen von Fliegen surrten um den Wagen. Er schluckte den bitteren Geschmack in seinem Mund herunter und zog, die Luft anhaltend, die Plane vom Wagen. 24 Paar tote Augen blickten ihn aus sorgsam abgetrennten Köpfen an. Es waren die Köpfe von Haubentauchers restlicher Bande. Das war also ihr Geschenk an den Baron. Eine kleine Demonstration ihrer Macht und zugleich eine Drohung, die seiner Nachricht das nötige Gewicht geben sollte. Er ging zum Pferd, band Haubentaucher ab, schleifte seine Leiche zum Wagen und warf sie auf die Ladefläche zu den Köpfen. Dann deckte er sie mit der Plane wieder zu. Die Tochter sollte den Anblick nicht die ganze Rückreise ertragen müssen. Er spannte gerade die beiden freien Pferde an den Wagen, als diese das nächste Mal erwachte. Sie wirkte erstaunlich gefasst. Was hatte sie wohl die letzten Tage durchlitten? Er näherte sich ihr langsam. "Mylady ihr seid in Sicherheit. Mein Name ist Henning. Ich bin Soldat eures Vaters und soll euch zurück an den Hof bringen." Sie nickte ihn zu und tiefe Erleichterung fand sich in ihren Augen, als sie das Wappen ihres Vaters auf Hennings Brustplatte erkannte. "Mylady, verzeiht mir unter diesen Umständen die unhöfliche Eile. Wir haben noch einen weiten Heimweg und der Tag ist schon weit fortgeschritten. Fühlt ihr euch in das Lage zu reiten?" Sie nickte. "Gut," sagte Henning, " dann bitte ich euch langsam voraus zureiten. Ich werde mit dem Wagen folgen."

Keine Kommentare: