"Verzeihung werte Dame, seid ihr euch sicher, dass ihr hier richtig seid? Der Bühneneingang befindet sich drei Türen weiter." Köpfe reckten sich zum Eingang des kleinen Varietes und betrachteten den neuen Gast. Gelächter bach aus. Die Köpfe richteten sich danach wieder auf die kleine, mäßig beleuchtete Bühne. "Nun das war es dann auch wieder für heute. Bleiben sie ruhig hier und geniesen sie auch das restliche Programm. Auch wenn sie nur wegen mir gekommen sind." Gelächter. "Nun mich können sie dann morgen wieder sehen." Tusch. Verbeugung. Spotlight auf den Künstler. Applaus. Spotlight weg. Abgang. Dafür interessierte sich die zuvor angesprochene Frau nicht. Sie suchte sich derweil einen der hinteren, im halbdunklen liegenden, Ecktische und winkte nach einem der Kellner. Dieser deutete, dass er gleich kommen würde. Balancierte sein Tablett zu einem anderen Gast, brachte diesen seine Bestellung und ging dann zu der Fremden. "Sie," kurzes Stocken,"wünschen?" "Eine Flasche CHÂTEAU D'YQUEM, Jahrgang 1982, zwei Gläser und ein kurzes Gespräch mit Herren Streicher." Irgendetwas war seltsam an dieser Frau, deren Oberkörper und Gesicht im Schatten des kleinen Separees lag. Irgendetwas war in ihrer, melodiösen, weiblichen Stimme, dass bei dem Kellner eine Gänsehaut entstehen lies. "Wie sie wünschen," wieder ein kurzes Stocken, "ich werde sehen was ich machen kann. Sie heißen?" "Annabelle de Moivre" Der Kellner wendete sich ab. Schneller als bei anderen Gästen und war froh nicht mehr in der Nähe dieser seltsamen Frau sein zu müssen. Seine Gänsehaut lies nach. Er ging zur Bar. "Max eine Flasche Château Sociando-Mallet und die Dame will Josef sprechen. Du irgendwie ist die mir nicht geheuer." "Weil sie ne Flasche Weißwein bestellt, die 329 Euro kostet? Die will den sicher engagieren, also bring der Dame den Wein und ich hohl Josef." "Wie du meinst ich hab dennoch ein komisches Gefühl." "Papperlapapp. Du und deine komischen Gefühle. Solltest neben deinem Studium und den Job hier mehr unter Menschen gehen und nicht die restliche Zeit zu Hause versauern, dann vergehen die komischen Gefühle ganz von selbst und jetzt lass die Dame nicht warten." Max drückt ihm zwei Weingläser und die bestellte Flasche in die Hand. Der Kellner brachte die Flasche zu den Tisch, kassierte die Rechnung, steckte sein Trinkgeld ein und kümmerte sich dann sichtlich erleichtert um die anderen Gäste.
Derweil an der Bar. "Hey erledige mal kurz die Bar. Ich muss kurz hinter die Bühne, Josef sprechen." "Gut Chef". Max, etwa 1,85 groß, normale Figur, perfekt frisiertes kurzes schwarzes Haar, schwarzer Anzug, polierte schwarze Lackschuhe, verließ den Tresen und ging durch eine Tür, über der "Nur für Personal" stand, hinter die Bühne. Er durschritt einen kurzen geweiselten Gang bog einmal links ab und erreichte den Künstlerbereich in welchen sich gerade zwei bald auftretende Artisten dehnten und streckten. "Wo ist Josef?" "In seiner Garderobe, wo sonnst?" "Vielen Dank." Max ging zu Josef´s Garderobe und klopfte kurz aber kräftig an. Nach einigen Momenten ertönte ein "Komm herein Max. Es ist offen.", durch die Tür. Er betrat den Raum, schloß hinter sich die Tür und sah Josef, der gerade das Programm des morgigen Abends durchging, auf seinen Stuhl sitzen. "Nun was willst du Max? Ich werde doch keine Gehaltserhöhung bekommen?" Ein kurzes Lächeln glitt über Max Gesicht. "Nun von mir zwar nicht, aber Geld könntest du tatsächlich bekommen. Du erinnerst dich an die Dame, die am Ende deines Auftritts das Varieté betreten hat?" "Du meinst diese Hammerbraut mit dem Kleid und dem Schmuck aus dem Theaterfundus?" "Ich glaube das Kleid und der Schmuck sind echt. Sie hat ne Flasche CHÂTEAU D'YQUEM, Jahrgang 1982 bestellt und gleich bar bezahlt gab Michael noch ein fürstliches Trinkgeld und sie will dich sprechen." "Oh", Josef war tatsächlich etwas überrascht, "sie gab Michael ein fürstliches Trinkgeld?" Deutliche Überraschung liegt in seiner Stimme "Nun dann wollen wir doch die Dame nicht warten lassen." Ein verschmitztes Lächeln erschien auf Josefs Gesicht. "Ist schon ne Zeit lang her, dass ich so teuren Wein getrunken hab. Ich werde gleich kommen." "Gut." Max verließ darauf hin den Raum. Josef betrachtete sich ausführlich in seinem Spiegel, frisierte sein Haar, glättete die Falten in seiner Kleidung, besprühte sich mit einigen Tropfen Deodorant und verließ mit einem fröhlichen "Na dann wollen wir mal" seine Garderobe.
Wieder vor der Bühne. Inzwischen war eine Akrobatennummer auf der Bühne. Ein Mann und eine Frau, die die Aufmerksamkeit des Publikums mit gekonnten Kraftnummern und gespielter Leichtigkeit gefangen nahmen. Annabelle de Moivre interessierte das nicht. Ihre gesamte Aufmerksamkeit galt der kleinen Tür, die zum Backstage-Bereich führte. Der Typ von der Bar war vor ein paar Minuten wieder herausgekommen und keiner der Kellner hatte ihr bis jetzt eine Absage Streichers erteilt. Es dürfte also nicht mehr lange dauern, bis er endlich erschien. Sie versuchte sich zu entspannen. Es stank erbärmlich. Nach Schweiß von primitiven Tier, mühsam überdeckt durch billige Deodorants. Doch darunter mischte sich noch ein anderer Geruch. Ein lieblicher Geruch. Ein schmeichelhafter Geruch. Ein Geruch der ihre Sinne zu vernebeln drohte. Ihre mühevoll aufgebaute Fassade brüchig werden lies. Leben. Leben, dass durch Adern floss, dass den widerlichen Gestank überdeckte. Das... Sie schüttelte kurz den Kopf. Nein sie musste sich noch gedulden. Nur noch heute. "Ah! Da kommt ja meine Bestellung", dachte sie.
In der Tat Streicher kam endlich aus der Tür, wechselte ein paar Worte mit anderen Gästen, lies das eine oder andere Foto von sich machen und zwängte sich mit sanfter Gewalt, ganz der Profi eben, zu dem im halbdunklen liegenden Ecktisch. "Verzeihen sie meine Verspätung. Ich musste noch etwas erledigen, dass keinem Aufschub duldete. Sie sind also Madame de Moivre?" "Ja" tönte es aus dem Halbdunkel. "Setzen sie sich doch." Streicher setzte sich auf dem ihn angebotenen Platz und versuchte seine Gegenüber zu mustern. Es gelang nicht. "Teufel normalerweise ist es hier nicht so dunkel." Laut sagt er: "Weshalb wollen sie mich sprechen." Die Antwort kam prompt:"Ich will sie engagieren. Für eine private Feier. Wir wollen sie als Moderator für das Rahmenprogramm und natürlich für einige kleine Nummer zwischendurch. Termin wäre nächsten Samstag 20:30 in der Rubensteinstraße 35." "Rubensteinstraße," schoss es Streicher durch den Kopf, "das ist die absolute Top Adresse. Künstleratilies, Feinkostläden, Cafes usw. Da kostet eine Tasse Kaffee mehr also hier ein 2 Gänge Menü." Laut sagte er hingegen: "Ich muss kurz in meinem Terminkalender nachschauen." Er zog seinen leeren Terminkalender hervor. Ein Relikt aus besseren Tagen. Damals als er noch eine eigene Fernsehshow hatte. "Samstag sagten sie? Das wäre mein freier Tag. Aber sie wissen ja. Ich bin nicht der billigste." "Reichen 10.000 für den Abend?" "10000. ZEHN TAUSEND!!", hallte es in seinem Kopf,"das letzte mal dass ich 10.000 hatte war, als ich meinen Mercedes zwangsversteigern musste." Seine Hände wurden feucht. "Hoffentlich merkt sie das nicht." Laut:"Damit lässt sich leben. Was muss ich genau tun?" "Wir lassen ihnen das nötige zukommen. Bis Samstag. Und genießen sie den Wein. Sehen sie ihn als kleine Anzahlung."
Mit diesem Worten stand sie auf und verließ das Lokal. Endlich raus aus diesem Gestank. Endlich weg von den Menschen. Streicher saß mit offenen Mund alleine an dem Ecktisch. War das ein Traum? War es Wirklichkeit? Die Flasche Wein stand vor ihm. Unangebrochen. Also doch Wirklichkeit. Irgendetwas war an der Frau seltsam. Nur was? Ihr Kleid, dass aussah als wäre es aus dem Theaterfundus? Dieser schwarze tiefgeschlitze lange Rock und die dazugehörige schwarze Korsage, die ihren nackten Rücken freigab? Das war sicher irgend so ein Trend bei den oberen 10.000. Die hatten ja dauernd irre Klamotten an. Nein es war irgendwas anderes. Nach dem vierten Glas Wein fiel es ihn wieder ein. Er kannte ihr Gesicht nicht. Obwohl das Gespräch über mehrere Minuten ging, kannte er es nicht. "Lag wohl am Schock. 10.000 Öcken für ne Moderation und ein paar Gags und mit ein wenig Glück wieder den Fuß im Big Business. Da kann man sowas schon mal übersehen. 10.000! Das Leben kann so wunderschön sein." Er nahm die Flasche Wein mit hinter in die Garderobe, packte seine Sachen und fuhr mit einem Taxi nach Hause. Nein in dem Zustand fuhr er nicht mehr Auto. Berauscht vom Wein und berauschst von der Aussicht des vielen Geldes. Nein, dafür riskierte er nicht seinen Führerschein. Dafür nicht.
Samstag eine Woche später.
"Rubensteinstraße 31, Rubensteinstraße 33, Rubensteinstraße 35. Ich bin da." Josef Streicher stand vor der ihm genannten Addresse. Ein Torbogen, der in einen gepflasterten Hinterhof führt. "Juppies.", dachte Josef. Er betrat den Hinterhof und suchte nach den Eingang oder einem Fenster. Nichts, nur Wände und eine Treppe, die nach unten ging. "Komischer Ort für einen Laden. Muss aber genug Kohle machen. Sonst würden sie mir nicht 10.000 anbieten und sonnst würde er sich hier nicht halten können." Josef stieg die 20 Stufen der Treppe hinab und stand vor einer mit seltsamen Figuren und Fresken verziehrten Holztür. "Schaut irgendwie okultistisch aus." Über der Tür befand sich in gothischen Lettern der Name des Ladens. "After Dusk". Josef schluckte unbewusst. "After Dusk. Deswegen diese Klamotte und der Name. Ich hätte es eigentlich wissen müssen." Das After Dusk war eine spezielle Kneipe für Leute, die den besondern Kick brauchten. Worin dieser Kick bestand darüber wurde geschwiegen. Dafür gab es Gerüchte, viele Gerüchte, seltsame Gerüchte. Gerüchte von Orgien im Stile der "120 Tage von Sodom". Unbstätigte Gerüchte. Gerüchte von Polizeirazzien, die ohne Beweise wieder abziehen mussten. Schweiß bildete sich auf Josefs Stirn, Er wollte weg. "Scheiß auf die 10.000 Euro. Scheiß drauf." Gerade als er gehen wollte öffnete sich die Tür und Annabelle de Moivre stand in der Tür. Sie trug das gleiche schwarze, barocke Kleid wie vor einer Woche. Ihr Gesicht war von einer weißen venizianischen Halbmaske verdeckt. Josef konnte nur ihre Augen mit violetten Pupillen - "sicher Kontaktlinsen", dachte Josef - sowie ihren zartrosanen Mund sehen. Erst jetzt viel Josef auf, wie bleich Annabelle doch war. "Wie weißer Marmor" kam es Josef in dem Sinn. "Guten Abend. Herr Streicher. Pünklich wie es sich für einen Profi ihres Schlages gehört. Wenn sie mir folgenen würden." Sie öffnete die Tür und was dahinter lag entäuschte Josef. Ein kurzer mit weißem Marmor gekachelter Gang, der in einer weitern Tür endete aus der gedämpfte Musik klang. Industrial. Josef folgte der Frau und mit jedem Schritt wich seine Angst. "Man wie konnte ich nur so dumm sein." Er kam sich wie ein kleiner Junge vor, der gerade festgestellt hat, dass das Monster unter seinem Bett nur in seiner Phantsie existierte und der sich alle die Jahre nur vor seiner eigenen Phantasie gefürchtet hat. Sie gingen durch die Tür. Dahinter lag eine kleine Gaderobe in der ein etwa 20 jähriges Mädchen saß, das gelangweilt Kaugummi kaute. Auch sie war im barocken Stil gekleidet doch wirkte sie deutlich gesünder als Madame de Moivre. "Den Mantel bitte.", meinte sie zwischen zwei Kaubewegungen. Josef gab ihr seinen Mantel und erhielt eine Zettel mit einer Nummer drauf. 13. Es hingen noch wenig Jacken in der Gaderobe. "Liegt wohl daran, dass es erst 19 Uhr ist und die Bar gerade geöffnet hat," dachte er. Sein Programm sollte auch erst um halb neun beginnen. Sie betraten den Raum.
Montag, Abend.
Josef erwachte. Schmerzen. Höllische Schmerzen. Jeder Nerv seines Körpers schrie. Er versuchte die Augen zu öffnen. Nur Schwärze, neue Schmerzen. Langsam ebbte der Schmerz ab. Jeder Atemzug Linderung. Die Schwärze begann zu verschwinden, bildete Konturen, Formen, Farben. Wo war er nur. Er versuchte den Kopf zu bewegen, was ihm dieser mit einer neuen Schmerzexplosion dankte. Die Konturen kamen ihn bekannt vor. "Das ist doch meine Wohnung," fiel es ihn ein. "Was ist nur geschehen? Was nur?" Einige Minuten später. Plötzlich kam die Veränderung. Gerade noch ein Bündel Schmerzen und jetzt pure Energie. Er fühlte dich pudelwohl und stand auf. Seine Theorie bestätigte sich. Er war wirklich in seiner Wohnung. Neben ihn lag ein Koffer mit Geld. 10.000 Euro. Seine Gage. Darauf ein Brief. Josef öffnete ihn. "Willkommen im Club "After Dark". Wir bedanken uns für ihre Mitgliedschaft und hoffen, dass sie uns bald wieder Besuchen." Josef versuchte sich an die Ereignisse dieses Abends erinnern. Doch da war nichts. Nur Schwärze. Er betrat sein Bad. Ein greller Schrei ging durch seine Wohnung. Kein Spiegelbild! Er betrachtete seine Haut. Bleich! Wie weißer Marmor! Von wächsiger Konsistenz. In diesem Moment riß der Mantel des Vergessens und Josef erinnerte sich an jedes Detail der letzten Tage. An dem Abend in der Bar, seinen Auftritt, der Nacht mit Annabelle, der stechenden Schmerz als sie ihn Biss und zum Mitglied machte, der leblose Körper des Gaderobenmädchens, der süße, liebliche Geschmack ihres Blutes in seinem Mund, die Angst in ihren gebrochenen, toten Augen, sein zurückkommen, seinen Tod vor wenigen Minuten und seine Widergeburt als Wesen der Nacht. "Das Leiden Christi," dachte er mit einem kalten Lächeln auf den Lippen. Jetzt war er ein anderer, etwas anderes, kein Mensch mehr, sonden ein junger Halbgott. Er ist auf die nächste Sprosse der Evolutionsleiter gesprungen. Jetzt war er ein Jäger und die Menschen nur noch Beute. Ja er war ein Jäger und er war hungrig. Er wusch sich und zog sich an. Er musste sich schick machen für den Abend. Für seinen Auftritt im Club. Für sein Abendessen. Für die Jagd.
Alles neu 2011?
vor 14 Jahren
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen