Mittwoch, 2. Januar 2008

Skiwanderung

Tote Augen
Welch wunderbares Gefühl war es fallen
Getragen vom Wind
Losgelöst vom Stamm
Um in Neuem gebettet zu zerfallen
Die Form als Ursprung ändert sich
und tote Augen sehen Leben
Und nach Verfall und Kälte
beginnt der Kreis sich zu schließen.
Wir erwachen und bemerken
das Sterben ist ästhetisch bunt
(Oswald Henke)

Einsam stand die Sonne am saphierblauen Himmel. Keine Wolke störte die brennende Flamme an diesem wunderschönen Spätwinternachmittag in den Alpen. Auf weiten Teilen der Berge lag Schnee, der im Schein der Sonne diamanten schimmerte. Dieses idyllische Bild wurde nur durch zwei Flecken auf dem ansonsten makellosen Weiß des Schnees gestört. Zwei Menschen, die auf ihren Skiern, durch ein Schneefeld wanderten. Der eine war ein etwa 50 jähriger Mann, der andere seine 18 jährige Tochter. Er trug einen graublauen Skianzug. Dazu eine abgedunkelte Skibrille um nicht an den reflektierten Sonnenstrahlen zu erblinden. Die Skistöcke hielt er fachmännisch und er bewegte sich sicher über das Schneefeld. Er wirkte durchaus wie ein erfahrener Skiwanderer. Selbiges galt auch für das Mädchen. Auch sie schien diesen Sport nicht zum ersten Mal auszuüben. Ihr schneeweißer Skianzug wirkte moderner als der des Vater. Dazu trug sie eine modische Skibrille.

Die Beiden waren vor etwa einer Stunde von einer kleinen Skihütte aufgebrochen und befanden sich nun auf den Weg ins Tal. Sie kannten den Weg zurück. Sind ihn schon oft gegangen. Sie unterhielten sich, über das Wetter, das gemeinsam verbrachte Wochenende, die Schule, die Zukunft, über was man halt so spricht, wenn man sich irgendwo im nirgendwo befand. Ein bis zwei Stunden von der Zivilisation entfernt.

Der Schnee, auf dem sie sich bewegten, war durch die Sonne leicht feucht und somit glitten sie praktisch problemlos darüber. "Wenn die Bedingungen so bleiben sind wir in gut 2 Stunden am Auto," meinte der Vater. Das Mädchen quitierte den Satz mit einem kurzen Nicken. "Das könnten wir schaffen," meinte sie daraufhin. Sie liefen weiter. Kleine Schneebröcken lösten sich aus der Spur und bildeten Kleinstlawinen von einigen Zentimetern Länge.

Plötzlich ein Schrei. "Scheiße!" Der Vater zuckte zusammen, drehte sich um und sah, wie seine Tochter heftig mit den Armen rudernd stürzte. Schnee rutschte nach unten, weiterer Schnee rutschte nach. Auf dem rutschenden Schnee das Mädchen. "Hey was soll das denn," sagt sie. Sie versuchte zu bremsen, doch es ging nicht. Immer mehr Schnee kam in Bewegung. Abwärts. Der Vater war einen kurzen Moment wie gelähmt, dann schrieh er mit panikerfüllter Stimme: "Mach die flach. Versuch dich festzuhalten. Irgendwo." Er schlug seine Hände vors Gesicht. Das Mädchen versuchte die Ratschläge zu befolgen doch anstatt abzubremsen schien es sie nur noch zu beschleunigen. Sie wurde schneller, immer schneller. Auf den Abgrund zu. "Verdammt es hilft nicht. Was soll ich nur tun?" schrie sie. "Versuch von dem Schneenbett runter zu kommen in den festen Schnee." In diesem Moment realisierte er die Entfernung zum Abgrund. Ihm stockte der Atem. Die Augen waren weit aufgerissen. Ein leises "Oh mein Gott" entstöhmte sein Lippen. "Dad was ist los? Verdammt was is los?" Panik. Das Mädchen drehte sich um und verstummte. Vor Schreck gelähmt sah sie den Abgrund auf sich zurasen. Sah die Wand auf der anderen Seite der Schlucht. Konnte die Tiefe erahnen. Sie began zu schreien, panisch versuchte sie festen Grund unter ihre Finger zu bekommen, sich irgendwo festzuhalten. Vergeblich.

Alles schien wie in Zeitluppe, als sie über den Rand schoß. Plötzlich kein Schnee mehr zwischen den Fingern. Das Gefühl von Schwerelosigkeit. Alles so unendlich langsam. Millimeterweise bewegte sie sich weiter, begann zu Fallen. Die Geschwindigkeit ließ nach. Die Schwerkraft begann zu wirken. Ihr Gesicht vom Schrecken gezeichnet. Der Mund weit aufgerissen, die Lippen blutleer. Die Pupillen geweitet. Zwei Trophen Speichel lösten sich aus ihren Mund. Sie schienen, ebenso wie die aufgewirbelten Schneekristalle in der Luft stehenzubleiben, während sie weiter fiel. Der Vater stürzte auf die Knie, die behandschuhten Hände vor dem Gesicht. Ein leises "Nein". Lauter "Nein" immer lauter "Nein" "NEEEEEIIIIIINNNNNN!!!!!!" Er hörte die Schreie seiner Tochter. Wie sie leiser wurden je tiefer sie fiel. Wie Echo hinzukam. Dann ein dumpfer Schlag tausendfach durch das Echo der Wände verstärkt. Augenblicklich Stille. Der Vater kippte auf seine Hände. Tränen sammelten sich in seinen Augen. Fielen auf die Visier der Schneebrille. Ein markerschütternder Schrei. Vögel stoben auf. Er heulte. Exodus.

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